- 12.03.2018 in Rückblick
Symposion Dürnstein 2018 - Nachbericht
Am vergangenen Wochenende fand das siebte Symposion Dürnstein im Stift Dürnstein in der Wachau statt, das sich dieses Jahr dem gegenwärtig breit diskutierten Thema Arbeit und ihren Bedeutungsverschiebungen widmete. Hochkarätige Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Religion, Philosophie und Kunst diskutierten aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen.
In seinem viel beachteten Vortrag am ausgebuchten Eröffnungsabend warf der renommierte Autor und Historiker Philipp Blom einen Blick in die Zukunft. Er äußerte den Verdacht, dass wir als Gesellschaft die Zukunft verweigerten und stattdessen die Gegenwart in die Zukunft ausdehnen wollten. Wir müssten uns aber entscheiden, ob wir die Zukunft mitgestalten oder einfach abwarten wollten. Blom kritisierte, dass Alternativen zu den vorherrschenden Orientierungen an Wachstum und Konsum kaum gehört würden. Die Wirtschaft müsse für den Menschen arbeiten und nicht umgekehrt.
Die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Andrea Komlosy widmete sich aus sozialhistorischer Perspektive dem Begriff von Arbeit und veranschaulichte, wie sich das Verständnis darüber, was als Arbeit gesehen wird und was nicht, v.a. seit dem 19. Jahrhundert massiv geändert habe. Die unbezahlte Arbeit, die für den familienwirtschaftlichen Haushalt als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft so wichtig gewesen war, verschwand in dieser Zeit aus der Geschichte der Arbeit. Unter Berücksichtigung dessen, was wir unter unter Arbeit subsumieren, würde uns die Arbeit aber nie ausgehen, so Komlosy.
Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung
Den Themenkomplex Digitalisierung und Arbeit eröffnete Mathias Binswanger, einer der bedeutendsten Ökonomen der Schweiz. Unter dem Diktum des Wachstums, das seit Beginn der kapitalistischen Wirtschaft der Normalzustand sei, schreite die Digitalisierung rasant voran. V.a. würde die Digitalisierung die Arbeit im Produktionsprozess verdrängen, gleichzeitig entstünden neue Jobs in der Verwaltung. Im Konsum träfen in Zukunft Algorithmen unsere Kaufentscheidungen, d.h. die Konsumentensouveränität würde zu einer Algorithmenabhängigkeit, der Mensch vom handelnden Subjekt zum gesteuerten Objekt. Dieser Entwicklung könne jedoch gegengesteuert werden. Freilich wäre der Preis der Freiheit und Souveränität ein Weniger an Bequemlichkeit.Chancen der Digitalisierung diskutierte eine Runde von ExpertInnen aus Wirtschaft, Verwaltung, Gewerkschaft und Wissenschaft unter der Leitung der Migrationsforscherin Gudrun Biffl. Dabei ging es um die rasanten technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre bei gleichzeitigem Mangel an Fachkräften und einer Konkurrenz um diese Fachkräfte unter den Volkswirtschaften (Hermann Kopetz, em. Professor für technische Mathematik). Forschung fände v.a. dort statt, wo entsprechende Renditen erwartbar seien, aber weniger dort, wo mühsame Arbeit eingespart werden könnte – d.h. wir müssten stärker eingreifen und steuern sowie die Verteilungsfrage stellen (René Schindler von der Gewerkschhaft PRO-GE). Michael Wiesmüller aus dem BMVIT führte aus, dass die aktuellen Entwicklungen auf eine Polarisierung in sehr hohe und sehr niedrig Qualifizierte hinausliefen. Die Politik sei hier gefragt, v.a. auch was die Mitte der Gesellschaft anbelangt. In ländlichen Gebieten arbeite man derzeit am Ausbau der Versorgung mit digitalen Netzen, von der man sich standortunabhängige Arbeitsplätze im ländlichen Raum erhoffe, um somit der Abwanderung entgegen wirken zu können (Walter Kirchler, Geschäftsführer der NÖ Regional GmbH).
Herbert Buchinger, Vorstand des AMS Osterreich, ging in seinem Vortrag auf vermeintliche Arbeitsunwilligkeit ein und erlauterte anhand aktueller Daten, dass ein geringer Anteil der Arbeitslosen nicht als arbeitsunwillig, sondern als „weniger diszipliniert oder wahlerischer als das Gesetz erlaubt“ anzusehen sei. (Arbeitslosigkeit auf Grund von „Condition Gap“: Volumen 2016 ca. 30.000 Personen). Das AMS selbst will sich in Zukunft weg vom Berufsmatching hin zu kompetenzorientierter Vermittlung orientieren.
Arbeits-Sinn und Lebens-Sinn
Schauspielerin Katharina Stemberger sprach zu Kunst Macht Arbeit uber kunstlerische Prozesse, in denen Arbeit flexibel, nicht-linear und nach individuellen Mustern ablauft. Unter dem Vorzeichen der Digitalisierung konnte sich Arbeit so entwickeln. Doch dann wurde sich die Gesellschaft in zwei Generationen abschaffen, „weil wir einfach keine Kinder mehr bekommen konnen, weil wir aneinander vorbei leben.“ Der Wirtschafts- und Sozialethiker Sebastian Thieme betonte, dass die Standard-Wirtschaftswissenschaften den Fragen der Selbsterhaltung kaum Aufmerksamkeit schenkten. Er stellte in einem geschichtlichen Ruckblick klar, dass Selbsterhaltung in okonomische Berechnungen meist auf einem „minimum disaster level“ basiere. Die Grundannahme dabei sei ein okonomisch rational kalkulierendes Individuum. Die Bereitschaft, die eigene Arbeitskraft am Markt anzubieten, sinke, je geringer die Moglichkeiten der angemessenen Selbsterhaltung ausfalle. Selbsterhaltung stelle das „missing link“ zwischen Wirtschaftlichkeit und Ethik dar. Unbrauchbarkeit eroffne Moglichkeiten, frei von Gebrauch zu sein, so das Statement des Sinologen Fabian Heubel. Er paraphrasierte damit zentrale Thesen des Daoismus und sieht in der Freisetzung von Arbeitskraft durch die Digitalisierung auch eine Chance fur eine Ruckbesinnung auf Selbstkultivierung.Arbeit und Globalisierung
Der globale Norden bringe durch seine imperiale Lebensweise die Lebensweise der Menschen des globalen Sudens in Schwierigkeiten, die aus ihren Lebensverhaltnissen gerissen wurden, so der Politikwissenschaftler Ulrich Brand, der das Kapitel Arbeit und Globalisierung am Samstag Vormittag eroffnete. Die Ausbeutung habe sehr wohl mit unserem Alltag zu tun, dies sei weniger eine moralische als strukturelle Konstellation, die mit unseren Konsumnormen zu tun habe. Unsere imperiale Lebensweise stabilisiere Hierarchien und Machtverhaltnisse auch bei uns. Brand warnte davor, alles auf die Entwicklung der Technologien zu setzen, sondern Umwelt- und Sozialstandards fur den internationalen Handel zu berucksichtigen und die Finanzmarkte zu regulieren.Community Worker Rehema B. Namaganda aus Uganda, die fur die internationale Organisation FIAN arbeitet, deren Schwerpunkt Ernahrungssouveranitat ist, schilderte die Auswirkungen der Entwicklungsbestrebungen an Hand einer Investition eines europaischen Unternehmens in eine Kaffeeplantage. Uganda hat wie so viele andere Staaten des globalen Sudens den Wunsch, auslandische Investoren und Industrie ins Land zu holen mit dem Ziel, durch mehr Investitionen Jobs, Steuern und Exporte zu erhohen. Dafur stellt Uganda Land zur Verfugung, das jedoch in vielen Fallen durch Landraub gewonnen wird.
Mathias Czaika, Migrationsforscher an der Donau-Universitat Krems, belegte anhand von empirischen Daten, dass der Anteil der Weltbevolkerung, welcher unterhalb der international definierten Einkommensgrenze von 1,90 US Dollar pro Tag in „extremer Armut“ leben muss, in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich abgenommen habe (von ca. 40% auf ca. 10%; Quelle: Weltbank 2015). Empirisch untermauern konnte er auch die These, dass internationale Migration bei Entwicklungsfortschritten eher zu- als abnimmt. Denn die hochsten Abwanderungsraten haben nicht Lander, in denen noch absolute Armut herrsche, sondern sogenannte „aufstrebende Volkswirtschaften“. Doch gabe es – wie z.B. bei den Fluchtlingen aus Syrien, Eritrea oder dem Sudan – auch andere gravierende Ursachen fur Migration, wie Klimawandel, Krieg und Verfolgung.
Julianna Fehlinger vom globalen Netzwerk Campesina stellte den Begriff Entwicklungsland in Frage, da als Maßstab dafür nur die wirtschaftliche Entwicklung gelten würde. Damit ärmere Menschen Zugang zu billigen Lebensmitteln haben, würde diese Gruppe gegen Kleinbauern, die in Europa und weltweit unter prekären Verhältnissen arbeiten, ausgespielt. Über den Konsum alleine, so ihr Fazit, könne die Welt nicht verändert werden, sondern wir müssten uns ebenso als politische Subjekte begreifen.
Der Bedeutung des öffentlichen Raums aus sozialer und demokratiepolitischer Sicht vor dem Hintergrund voranschreitender Kommerzialisierungstendenzen war der Vortrag der Architektin und Stadtplanerin Gabu Heindl gewidmet. Der öffentliche Raum sei umkämpft, da er profitabel verwertbar ist. Ausschlüsse von bestimmten Menschen oder Gruppierungen würden produziert. Freies Handeln und freier Raum seien aber die Basis für Öffentlichkeit und damit für Politik
Alternativen für die Zukunft
Im abschließenden Teil des Symposions wurden alternative Zukunftsmodelle diskutiert: Der Unternehmer Daniel Häni erzählte, dass ihn im Vorfeld zu seiner Initiative zur Abstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen (Schweiz 2016) eine bestimmte Frage beschäftigt habe: „Was würden Sie tun, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“. Seiner Meinung nach sei v.a. die Sozialdemokratie gefragt, eine Antwort auf die Digitalisierung zu finden. Pertti Honkanen begleitet als Forscher in der finnischen Sozialversicherung das derzeit laufende Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen. Für das Projekt, das unter großem Medieninteresse durchgeführt wird, wurden 2.000 Personen nach Zufallsprinzip ausgewählt. Erste Ergebnisse werden nach Beendigung des Projekts im Dezember 2018 erwartet.Laut Christian Felber, bekannt als Publizist und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie, hätte sich die Wirtschaft zu weit vom Menschen entfernt und würde nur mehr isoliert betrachtet werden. Die Gemeinwohl-Ökonomie stelle eine ganzheitliche Alternative dar, die ethische Prinzipien in die Leistung eines Unternehmens inkludiert. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung würden in Österreich 90% der Menschen eine neue Wirtschaftsordnung alternativ zur bestehenden bevorzugen. Gemeinwohl-Bilanzen und „ethischer Handel“, der zwischen Freihandel und Abschottung anzusiedeln ist, stellten konkrete Alternativen dar. Ein aktuelles positives Beispiel sei die Gemeinde Salzburg, die sich entschieden hat, gemeinwohlbasierte Unternehmen zu fördern.
Kuratorin Ursula Baatz zieht ihr Resumee: „Das Symposion Dürnstein 2018 hat gezeigt, dass es den Bedarf und den Wunsch nach einem gesellschaftlichen Diskurs gibt, wie wir generell unser Leben in Zukunft gestalten wollen, welche alternativen Modelle dafür bereits vorhanden sind oder entwickelt werden müssten und welche Steuerungsinstrumente angewendet werden könnten“.
Franz Delapina, Geschäftsführer des Veranstalters NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H freute sich über den regen Zuspruch des heurigen Symposions: „ Das Symposion brachte nicht nur unzählige Perspektiven auf ein heiß diskutiertes Thema auf den Tisch. Es war darüber hinaus das am besten besuchte Symposion im beeindruckenden Ambiente des Stiftes Dürnstein.“
Das nächste Symposion Dürnstein findet von 7. – 9.3.2019 zum Thema „Demokratie in der Krise? Die schlechteste aller Staatsformen, abgesehen von allen anderen“ statt.
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